Abende in Abenden

Einige Vorbemerkungen
Die folgende Geschichte stammt aus dem Bändchen „Stadtansichten“ von Klas Ewert Everwyn,
dessen Texte im WDR-Hörfunkprogramm gesendet wurden.
Die Herren Ulrich „Uli“ Andersch und sein Vater Heinz waren – wie unschwer zu erkennen sein wird – damals die Gastgeber des Schriftstellers und seiner Familie. Ersterem und seiner Frau Els ist es zu verdanken, dass diese köstliche Geschichte nunmehr in Abschrift vorliegt, und so dem einen oder anderen zur Erheiterung dienen kann.
Der geneigte Leser muss sich aber heute darüber im Klaren sein, dass sich in den letzten vierzig Jahren so Einiges in und um Abenden getan hat, nicht nur in der Rechtschreibung. So gibt es beispielsweise das „Hotel zur Post“ oder das Café Jansen nicht mehr.

 

Abende in Abenden – Urlaubsbilder aus der Nord-Eifel

Autor: Klas Ewert Everwyn; (www.everwyn.de; mailto:K.E.Everwyn@gmx.de) ; erschienen im Sassafras Verlag ; 1977

Eigentlich wollten wir in die Schweiz; aber dann landeten wir in der Gegend von Nideggen, genauer gesagt: in Abenden.
Kennen Sie es? – Wir kannten es nicht.
Die Gegend – ja, die Gegend kannte ich. Ich hatte sie in nicht allzu guter Erinnerung. Damals im vorletzten Kriegsjahr, Ende 1944, war sie noch erfüllt von jenem unheilvollen Grollen, das die nahe Front anzeigte: ein unablässiges, Tag und Nacht anhaltendes infernalisches Geräusch, das dann des Nachts auch seine visuelle Entsprechung erfuhr: wenn der Himmel über den Bergen in flutende Helligkeit getaucht war, in der es blitzte und leuchtete. Und ab und an verirrte sich eine Granate bis in die unmittelbare Nähe, und man begriff, aus welchen Einzelgeräuschen das Grollen bestand und was es bedeutete. Wir blieben damals nicht lange in dieser Gegend – wir, ein zusammengewürfelter Haufe von 14- bis 16-Jährigen, zusammen-getrommelt als das letzte Aufgebot oder, um es im damals geläufigen Terminus auszudrücken: Deutschlands letzte Hoffnung. Denn bald wurde auch diese Gegend Frontgebiet und die Rur – die Rur ohne h – eine in Wehrmachtsberichten oft genannte Kampflinie. Aber ich kann und mag diese Tage und Nächte, die ich in Kall und Schleiden im September 1944 erlebte, nicht vergessen. Sie rissen mich heilsam aus jugendlichen Träumen.
Ein paarmal in letzter Zeit sind wir dann noch hier in der Gegend gewesen, aber das zählt kaum: meist auf der Durchreise, wenn wir, nach langer Rückreise mit dem Wagen aus dem Frankreich-Urlaub, kurz vor dem Ziel noch einmal Station machten, drei Tage höchstens, um die Strapazen der Tour abzuschütteln und uns vorzubereiten auf das, was einen am nächsten Montag erwartete: die Arbeit. Dann waren wir schon einmal in Schmidt geblieben, hatten Spaziergänge um die Rurtalsperre unternommen, von Mücken gejagt, von Fliegen belästigt, denn es war heiß; aber das alles war uns als nichts Besonderes vorgekommen, ein Nebenbei, und es gab nichts, das einen zu längerem Bleiben einlud.
Später dann waren wir für ein Wochenende und einmal über ein kaltes Ostern in der Eifel: ich erinnere mich, als wir gründonnerstags bei strahlendem Sonnenschein versuchten, hier irgendwo über Ostern ein Zimmer zu ergattern. Dafür benötigten wir einen vollen Tag, und wir blieben schließlich in Kirchsahr, einem winzigen Ort zwischen Euskirchen und der Ahr in der Nähe des neuen Radio-Teleskops mit einer besichtigenswerten, weil ein Altarbild aus der Schule Stephan Lochners aufweisenden Kirche. Wir blieben, wenn auch mit der Aussicht auf baldige Zimmer- und Pensionswechsel. Es war alles belegt, und der Nürburgring warf seine Schatten und Autokolonnen bis hier herauf. Bis uns die österliche Kälte überfiel, die uns den Aufenthalt vollends verleidete.
Die Eifel gewährte uns nicht ihr Wohlwollen, sie ließ sich nicht erobern. Es hatte den Anschein, als wehrte sie sich gegen uns, und wir waren drauf und dran, was die Eifel anbetraf, aufzugeben. Der Taunus, das Sauerland, das Bergische Land, all die für uns aus dem Ballungsgebiet der Großstädte an Rhein und Ruhr – die mit h – gut erreichbaren Erholungsgebiete, sie alle hatten sich uns erschlossen, sich erschließen lassen, die Eifel dagegen blieb uns fremd. Bis vor kurzem.
Bis uns das Schicksal, die Fügung oder auch Bestimmung, mag man es nennen, wie man will, zur Umdisposition unserer Urlaubspläne zwang. Denn plötzlich konnte die Schweiz nicht mehr Zielpunkt unseres Urlaubs sein. Das hatte ganz persönliche Gründe. Und nach einigem Überlegen entschieden wir uns für die Eifel, trotz allem. Kauften Prospekte, Hotelnachweise, Reiseführer, all die so wesentlichen Dinge, die zur Urlaubsplanung erforderlich sind, sofern man sich nicht dem Massentourismus anschließen und sich einer Urlaubsfirma anschließen will und damit auch dem Schicksal und nicht etwa einem unumstößlichen Plan; denn man weiß ja inzwischen, wie so etwas ausgehen kam. Ja, und dann planten wir tatsächlich einen Urlaub ganz in der Nähe, in der Eifel, in der Nord-Eifel, die uns praktisch vor der Tür liegt, und verfielen dabei auf einen Ort namens Abenden.
Abenden: nie vorher gehört. Warum also ausgerechnet Abenden? Eigentlich ganz einfach: der Name steht in dem Reiseführer durch die Eifel, den wir bei einem Reisebüro gegen eine sogenannte Schutzgebühr erwarben, ganz vorne an. Eine Tücke des Alphabets also, gleich hinter – welche Überraschung – gleich hinter Aachen. Aachen hätte ich im Traum nicht der Eifel zugerechnet.
Aber zurück zu Abenden: wir lasen: „Abenden, Kreis Düren, 625 Einwohner, 220 m hoch gelegen, Sommerfrische im Rurtal in waldreicher Berglandschaft, Naturpark Nordeifel. Sehenswürdigkeiten: Klettergarten mit schroffen Rotsandsteinfelsen, Rurtalsperre Schwammenauel. Bahnstation, Bus nach Düren, Heimbach, Schwammenauel, Kloster Maria Wald, FB, W und Z.“
Uns interessierte W, was Wald bedeutet, und uns interessierte vor allem FB, was Freibad heißt, Z, ein Zeltplatz also, interessierte uns nicht so sehr, wir waren auf der Suche nach einem Hotel. Und auch Hotels gibt es in Abenden. Nach Auskunft des Reiseführers sogar deren drei, dazu drei Privatpensionen. Aber am wichtigsten für uns war doch FB, das Freibad. Hinzu kam, daß die vom Reisebüro mitgelieferte Landkarte, die allerdings keinen Anspruch auf Maßstabsgerechtigkeit erhob, die Gegend südlich von Nideggen in tiefgrüner Farbe wiedergab, was auf landschaftliche Schönheiten hindeuten sollte. Und die eingezeichnete Burg (bei Heimbach), Felsen (bei Nideggen), ein Hirsch (bei Schmidt), Segelboote (auf tiefblauer Rur- und Urfttalsperre) gaben uns einen Vorgeschmack auf visuelle Erlebnisse und sogar Absonderlichkeiten: wollte man der Karte trauen, halten sich auch Hirsche in der Olef-Talsperre auf. Aber vielleicht war das nur ein Versehen oder aber der Trick des die Karte entwerfenden Zeichners.
Aber so ganz trauten wir Prospekt und Landkarte nun auch wieder nicht. Auch wir wollten, wie es inzwischen Brauch geworden ist bei Leuten, die es wissen müssen, auch wir wollten unseren Urlaub vortesten. Packten Schlafanzug und Zahnbürste ein und fuhren hin. Von Düsseldorf aus ist man, nimmt man die Autobahn Neuss-Köln-Aachen in Anspruch, in knapp einer Stunde in Düren, sofern einem nichts dazwischen kommt. Durch Düren hindurch geht´s dann etwas langsamer, und auch hinterher fährt man noch eine Weile durch ein dichtbesiedeltes Industriegebiet, ehe man die leicht gewellte, bunt gemusterte Felderlandschaft erreicht und die Bäume bestandenen Landstraßen, die einen von Ort zu Ort tragen. Nicht viel Verkehr, die Tachonadel pendelt zwischen sechzig und achtzig, man darf sich Zeit lassen, kein Grund zur Aufregung.
Daß man auf einer Hochebene einher gefahren ist, merkt man erst, wenn Nideggen erreicht, kurz berührt und daran vorbeigefahren ist: man stürzt unvermutet in ein waldumspanntes Tal, die Landschaft hat sich augenblicks verändert. Für Momente erliegt man tatsächlich der Vermutung, nun werde man in menschenleere Gefilde entführt. Es riecht meilenweit nach Waldeseinsamkeit.
Die Straße indes ist neu und gut, läßt sich gut befahren, verführt zu waghalsigen Unternehmungen, deren zweifelhaftem Reiz vor allem Ortskundige gern erliegen. Kaum hat man nämlich die Serpentinen hinter dem Ortsausgang Nideggen hinter sich gelassen, schon preschen sie heran, die ortskundigen Schnellfahrer, ein mitleidiges Lächeln für die langsameren Fremden auf den Lippen, überholen, wollen vorankommen, nach Hause, zur Arbeit, zur Freundin, zur nächsten Kneipe. Ihnen macht die veränderte Landschaft gar nichts. Wir haben mit dem Eindruck zu kämpfen. Mir entfährt ein „Donnerwetter“ als ich des Tals ansichtig werde, durch das die Straße alsdann führt. Ich merke, daß ich nun in der Eifel bin.
Die Abfahrt nach Abenden haben wir dann beinahe verpaßt. Sie erscheint ziemlich unvermittelt hinter einer diesmal sanften Biegung, man hat gerade noch die beiden Rotsandsteinfelsen zu beiden Seiten der Straße bewundernd gemustert, als einen ein Wegweiser von der guten neuen Straße scheucht, hinein in eine harsche Rechtskurve, und man befindet sich auf einer schmalbrüstigen Dorfstraße, die einen noch tiefer hinunterträgt. Die ersten Häuser tauchen auf, dann ist man mitten im Ort, und es wird eng. Gleichzeitig hat man sich zu entscheiden, denn man befindet sich an einer Kreuzung. Ein Wegweiser deutet nach links und zeigt in dieser Richtung Heimbach an, was aber gar nicht stimmt, wie wir später erfahren. Aber nach Heimbach wollen wir nicht, deshalb die Wendung nach rechts, und schon ist man auf einer Brücke, einer Brücke, die denen in Frankreichs Provinzen häufig anzutreffenden einspurigen Brücken nicht unähnlich ist, aber auch nur, was die Breite angeht. Sie ist schon stabil. Die französischen Brücken gleicher Breite lassen stets die Katastrophe ahnen, die zwar noch jedesmal ausgeblieben ist, die man aber nicht müde wird zu befürchten. Eine einspurige Brücke also, und da ist auch die Rur, jene ohne h, ein paar Kanuten in bunten Booten werden vom Auge erfaßt und als angenehme Tupfer im vorherrschenden Grün registriert, ein paar Zelte, Wohnwagen, auch sie bunt und verfremdend, und da ist der Ort auch schon zu Ende. „Da ist nichts mehr“, sage ich und wende den Wagen.
Zurück, wieder über die Brücke, ältere Leute im Wandererhabitus, nicht viel wesentlich jüngere in der Uniform der Camping-Freunde, dem Trainingsanzug. Ich fahre zwanzig oder weniger, die Fußgänger auf der Brücke lassen mich, abwartend, uns neugierig musternd, passieren, und schon sind wir wieder an der Kreuzung. Und jetzt erkennen wir den alten Fachwerkbau, der das Hotel beherbergt. „500 Jahre“ steht auf einem gläsernen und wahrscheinlich beleuchtbaren Transparent; aber später stellt sich heraus, daß sich diese Angabe auf das Alter der Biermarke bezieht, die hier geführt wird. Doch der Hof selbst hat seine 300 Jahre auf dem Buckel. Aber, wie gesagt, das erfahren wir alles später. Zunächst ist das für uns lediglich ein gemütlich ausschauendes Hotel, und da interessieren Zimmerpreise und die Speisekarte.
Die Speisekarte erweist sich als ausgezeichnet, für die Gegend, das Dorf, der Zimmerpreis als angemessen. Uns gefällt es hier auf Anhieb, am liebsten würden wir uns schon jetzt die notwendigen Zimmer reservieren lassen. Aber Vorsicht, der Urlaub in jenen uns bekannten Gefilden der Eifel, die sich uns gegenüber stets als so spröde erwiesen hatte, gehört ausgetestet. Also fahren wir weiter, erreichen Heimbach, Schwammenauel, eine schöne und oft beschriebene Gegend, ich will´s mir deshalb sparen, dann weiter hinauf nach Schmidt und wieder hinunter nach Rurberg und Einruhr. Aber wo wir an diesem Tag auch hinkommen, und wir kommen noch bis Bad Münstereifel auf unserer Testfahrt, bei allem, was wir tun, haben wir Abenden vor unserem geistigen Auge. Abenden war an diesem Tag das Maß, und dagegen verblaßte alles andere. Abenden hatte uns einfach überwältigt, beeindruckt, wir hatten nicht mit dem gerechnet, was uns da geboten wurde: die Landschaft und das Hotel, die Lage des Ortes, das bunte Bild. Wir entschlossen uns, unseren Urlaub in Abenden zu verbringen.
An einem Montag kamen wir an, an einem Sonntag fuhren wir wieder ab. Dazwischen lagen vierzehn gute Tage. Das hatte nicht einmal etwas mit dem Wetter zu tun, denn innerhalb weniger Tage hatte sich das Wetter verschlechtert, das Barometer stand auf veränderlich. Und nachdem wir unsere Koffer und Taschen ausgepackt hatten und uns auf einen ersten Rundgang machten, begann es prompt zu regnen. Der erste Eindruck war sowieso nicht der beste. Der Mittagsbetrieb im Hotel ließ auf einen regen Ausflugsverkehr schließen, bei dem dieses Hotel als Zielpunkt oder doch Wegemarke diente. Der Wirt hatte also wenig Zeit, man konnte kaum miteinander sprechen, und die uns angebotenen Zimmer sagten uns überhaupt nicht zu. Und dann fiel unser erster Rundgang auch noch buchstäblich ins Wasser.
Gegen Abend wurde es im Hotel ruhiger, man konnte miteinander reden, und dann gab´s für uns nicht nur bessere Zimmer, sondern sogar den abgetrennten Teil eines ganzen Bungalows, hoch über dem Hotel am Berghang gelegen mit Blick über den Ort und in das Tal. Hinter dem Haus die Landstraße, von der man so gut wie nichts hörte: der Hang schirmte dagegen ab. Es ließ sich doch noch alles gut an.
Wo aber war das Freibad? Auf unserer Testfahrt hatten wir es ganz aus den Augen verloren, es hatte keine besondere Rolle mehr gespielt, wir vermuteten es schon als abgetrennten Teil der Rur. Aber es war dann doch vorhanden. Wir entdeckten es auf unserer ersten Wanderung, unserer ersten Bergbesteigung, bei der wir uns wieder, ohne es zu wissen, auf die Höhe von Nideggen begaben. Das Tal lag vor uns, Abenden, der Ort, war nur noch ein Teil dieses Rurtals, das uns mit seinen lebhaften Mustern und verschiedenartigen Bildangeboten bezauberte: da gab es den Fluß, der das Bild beherrschte, matt silbern schimmernd, einen tiefen Einschnitt zeichnend, ein Knie beschreibend. Da gab es Feld und Wald, sanfte und schroffe Hänge, rote Felsen. Ein uneinheitliches Bild, bizarr in seinen Ausmaßen und Erscheinungen, von schier unergründbarer Lebhaftigkeit. Und da war auch endlich das Freibad: klein, unscheinbar, mitten in einem Freizeitpark gelegen, liliputanerhaft, miniaturengleich von oben zu betrachten. Die Schule, der Festsaal, der Kinderspielplatz und das Freibad mit Blumenrabatten und Liegewiesen: eine vorbildliche Anlage für ein Dorf dieser Größe. Als das Wetter besser, es sogar noch einmal heiß wurde, besuchten wir es: nicht mehr als eine Art Lehrschwimmbecken, an seiner tiefsten Stelle höchstens 1,80 m tief, das Wasser ziemlich stark gechlort und angewärmt, wie es schien. Aber es erfüllt durchaus seinen Zweck. Der Betrieb ist nicht sehr stark, man kann auf den großzügig angelegten Wiesen Federball und andere Ballspiele treiben, ohne andere Gäste zu belästigen. Es ist Platz genug vorhanden.
Vieles scheint in Abenden durch die Flurbereinigung, die sogenannte Zusammenlegung bewirkt worden zu sein: nicht nur, daß die Landwirte ihre Felder besser bewirtschaften können, sondern es ergaben sich auch größere zusammenhängende Freiflächen, die nun besser genutzt werden konnten. Dadurch entstand das Freizeit- und Schulzentrum.
Ein weiteres ergab sich aus dem Aus- und Neubau der Landstraße von Nideggen nach Heimbach. Früher drängte sich der gesamte Durchgangs-verkehr in der Hauptstraße des Ortes, die sich schmal und eng durchs dörfliche Häusergewirr schlängelt, bergauf, bergab, links und rechts herum.
„Es war eine Katastrophe“, sagte der Wirt. „Sehen Sie sich diese Ecke hier mitten im Ort an, da mußten jeden Tag all die Busse durch.“
Auch heute noch befährt ein Bundesbahnbus diese Strecke, meist ist er gähnend leer, und ich habe die Fahrkunststücke mitangesehen, die der Fahrer an dieser Stelle seinem Publikum bieten muß, um sie ohne Schaden passieren zu können. Dabei besitzt Abenden auch einen Bahnhof, eine Haltestelle mit Wartehäuschen mehr, aber es befährt immer noch ein Triebwagen die Strecke zwischen Düren und Heimbach, eingleisig natürlich. Und auch hier sind die Wagen, abgesehen von den Zeiten des Arbeitsbeginns und -endes, leer, dürftig besetzt zumindest.
Doch das Geräusch des Triebwagens, wenn er all die unbeschrankten Bahnübergänge, Feldwege zumeist, überfährt, ist ein Teil meiner Erinnerung an Abenden und das Tal: ein mir bis dahin unbekanntes Signalgeräusch, das wie das aus Fernsehsendungen wohlbekannte Trompeten der Elefanten klingt. Wenn man es zum ersten Mal hört, erschreckt man wegen seiner absoluten Andersartigkeit, aber wie an alles andere, so gewöhnt man sich auch daran.
Heute also wird der Durchgangsverkehr über die Landstraße an Abenden vorbeigeleitet. Ein hohes das Tal überspannendes Viadukt ist entstanden. Die dort oben herrschenden Windverhältnisse machen den Autofahrern zu schaffen, entsprechende Warnschilder, Seitenwind ankündigend, zeigen es an. Aber gleichzeitig laden eingebaute Parkplätze die Autofahrer zum Anhalten ein, einen Blick in Ruhe über das Tal zu werfen und in den Ort natürlich, der aussieht, wie zum Wettbewerb um den Titel des schönsten Dorfes herausgeputzt: viele Blumen, ein regulierter Bach, die neue Brücke mit den Blumenkästen zu den Seiten, der kleine buntgemusterte Campingplatz und selbst das windschiefe Fachwerkhaus ist erst letztlich frisch geweißt und gestrichen. Eine einladende Idylle.
Es wird gebaut in Abenden. Da, wo es schön ist, möchte man auch gern Hütten bauen. Und in den nicht weit entfernten Großstädten wird Geld verdient, viel Geld, das nach Anlage schreit. Da kommt man leicht auf den Gedanken, sofern man Abenden kennt, es hier in Form eines Sommer-hauses, eines Wochenenddomizils anzulegen, for relaxing wie es neuerdings heißt. So entstehen allenthalben rings um den Ort, an den Hängen und auf den Höhen solide oder auch aus Brettern gefügte Häuser, Villen, Buden; um stehengelassene Wohnwagen wird Mauerwerk geschichtet, man richtet sich ein, auch Camping verlangt nach Ausbau, führt letztlich im Laufe der Zeit vom modernen Nomadentum zurück zur Seßhaftigkeit. Schließlich wird man auch älter, und immer im Trainingsanzug zur Pumpe laufen will man sein ganzes Leben lang auch nicht. Doch auch die noch nicht vollständig seßhaften Camping-Freunde richten sich ein, messen ein Areal um Zelt oder Wohnwagen aus, ziehen zunächst noch niedrige Zäune, pflanzen Strauchwerk an, und man kann sie beobachten, wie sie noch mit der Rasenschere das Gras schneiden. Eines Tages wird es ein Motorrasenmäher sein. Man darf so tun als besitze man Haus mit Garten. Und vor der Tür einen Fluß, auf dem man mit dem eigenen Boot fährt, über Forellen hinweg und durch Entenschwärme hindurch, die sich an Abendens Brücke sammeln und sich um die Brotkrumen streiten, die hier von Passanten gleich kiloweise dem Fluß übergeben werden.
Das tun meist Urlauber, Gäste, Sonntagsspaziergänger, professionelle Wanderer, die hier ein eigenes Heim besitzen, viele ältere Leute, von ihren Söhnen und Töchtern im Auto hierher verfrachtet, wo sie sich in Rudeln zusammenfinden und mit Stöcken bewehrt in die Landschaft einfallen, um sich später in einem der beiden Cafés zu treffen und Kuchen in sich hinein zu schaufeln und Kaffee zu trinken, damit´s besser rutscht.
Aber auch, wie gesagt, Professionelle, Wanderburschen, das Vereinsabzeichen am Norwegerpullover, den Spazierstock beschlag-übersät, die kräftigen Waden in dicke Wollstrümpfe gesteckt, in der Hand, die Generalstabskarte: sie gehen planmäßig vor, sie erobern sich das Gelände, Punkt für Punkt, machen ihre Kilometer zu Fuß wie andere mit dem Wagen: Kilometerfresser. Bei soundsovielen Kilometern winkt eine silberne, dann eine goldene Nadel. Ohne dem geht´s bei den Profis nun mal nicht.
Wir dagegen, drei Leute hoch, spielen den individuellen Part und sind nichtsdestoweniger Teil der allgemeinen Wander- und Erholungsbewegung. Über uns ließe sich auch so manches Wort sagen, nur uns selbst fällt keins ein; denn nach unserer Meinung machen wir ja alles ganz anders. Und das ist unser gutes Recht, finden wir. Wir wandern ohne Stock und ohne Karte, und nur so kann es einem passieren, daß man hin und wieder von den Dingen überrascht wird. Einem richtigen Wandervogel wird das natürlich nicht widerfahren, der weiß zum Beispiel ganz genau, daß man gleich hinter der nächsten Wegbiegung die Burg Nideggen wird sehen können. Für uns dagegen kommt der Anblick vollkommen überraschend, und wieder einmal hat ein Bild dieser Landschaft in unserem Innern zugeschlagen. Wir stehen da und staunen Nideggen an, wie es hinter dem mit Wald bestandenen Berg allmählich auftaucht und sich unseren Blicken preisgibt: ein roter steiler Fels und darauf eine Burg, eine Kirche, ein paar Türme: wenn einen das nicht überwältigt!
Kommt man dann hin, ist es nicht mehr so ganz imposant. Es geht dort sehr profan und neuzeitlich zu. Die Preise sind gesalzen, und Ruinen sehen aus der Nähe ziemlich schäbig aus, betrunkene Betriebsausflügler torkeln aus dem Bus in die nächste Kneipe oder wieder zurück, die Geschäftsleute sind auf Geschäfte bedacht, ein Super-8-Film kostet hier keine gewöhnliche 13,50 DM, sondern gleich um 7,– DM mehr, und die Gerüche an den Imbißbuden sind die gleichen wie in der Düsseldorfer Altstadt. Nebenan wird dann gebaut, ein klotziges Terrassenhaus wird in den Hang getrieben, es sind noch Wohnungen frei, der Quadratmeterpreis liegt bei 1800 Mark, nicht bedeutend unter dem in Düsseldorfs Innenstadt.
Nideggen also nur aus der Ferne oder um den Lottoschein abzugeben, Zahnpasta zu kaufen oder um von der kaputten Burg einen Blick zurück ins Tal zu werfen, in dem auch Abenden liegt und wohin man zurück strebt. Zu Fuß natürlich. Es gibt da verschiedene Wege, wir haben sie alle ausprobiert. Der bequemste ist der, der zum Bahnhof hinunter führt, von wo man aus über die Schmidtsche Landstraße, am Campingplatz vorbei einen ebenen Waldweg erreicht, der einen ohne Umstände nach Abenden bringt: ein Weg für ältere Herrschaften. Der beschwerlichste ist der Felswanderweg, wie ich ihn mal nennen will, der jede Bewegung der Landschaft mitmacht, aber er ist gleichzeitig auch der schönste; und erfordert auch die meiste Zeit.
Da steht man plötzlich inmitten ursteiniger Landschaft, roter Fels, der sich in gewaltigen Maßen über einen erhebt, ausgewaschen, höhlig, angsteinflößend. Wenn man hier steht, so allein auf weiter Flur, denkt man nicht nur an die schönen Bilder, die einen umgeben, sondern auch an die Einsamkeit, und die ist heutzutage mit Angstgefühlen angereichert, die sich aus den Sensationsmeldungen der Presse speichern. Hinter jeder Wegbiegung, in jeder Felsenhöhle mag der Bösewicht lauern, der´s auf Leib und Leben abgesehen hat. Aber es geschieht nichts, auch hat man nichts dergleichen aus dieser Gegend gehört.
Wenn Gewalttätigkeit, dann allenfalls während der auch hier unvermeidlichen Kirmestage. Da gibt’s natürlich die obligaten Schlägereien, wegen eines verschütteten Biers oder eines Mädchens, das mit einem anderen tanzt. Man kennt das, man hat oft genug mittendrin gesteckt. Aber darüber ist man hinaus, altersmäßig, man hat sich, wenn auch gezwungenermaßen, über diese menschlichen Niederungen erhoben, steigt in einem Hotel ab und verlangt nach Ruhe.
Als wir in Abenden eintrafen, rief uns ein Plakat etwas von einer Kirmes entgegen, die am nächsten Wochenende stattfinden sollte, und der nichtsahnende Kellner beantwortete unsere diesbezügliche Frage mit einem strahlenden: „O ja, hier ist schwer was los, kann ich Ihnen sagen“, ehe er verstand, wem unsere bange Frage gegolten hatte und er schnell hinzufügte: „Aber nicht hier im Hotel. Hier ist es ruhig.“ Er hatte recht. Die Kirmes findet im Saal statt, im neuerbauten Festsaal am Freizeitzentrum. Natürlich gibt es einen Festzug, einen zivilen am Samstag, wenn die Kirmes, wie es hier heißt, heraufgeholt wird, und einen uniformierten am Sonntagnachmittag.
Seit ich sechzehn Jahre lang das Schützenfest in Neuss habe miterleben dürfen und ich einigermaßen Bescheid weiß über die Urwüchsigkeit solcher Feste, stehe ich ihnen recht skeptisch gegenüber; denn tatsächlich haben sie in größeren Orten keine andere Bedeutung mehr als die eines Werbeträgers. Sie bedeuten für mich deshalb lediglich Krach, Sauferei, Nepp, Firlefanz, Traditionshuberei und kaschierten Militarismus. Und ich hatte auch meine Bedenken gegenüber der Kirmes in Abenden, der wir nun nicht mehr würden ausweichen können.
Ich wollte vorbauen, unterhielt mich mit den Leuten, erfuhr so einiges, das mein Interesse weckte, denn immerhin ist es doch wohl interessant zu erfahren, warum hier eine Kirmes „heraufgeholt“ wird und nicht einfach gefeiert und warum es hier keinen Schützenverein gibt. In Abenden wird nicht geschossen. Schon vor Jahren hat man das abgeschafft und statt dessen ein Trachtenfest begründet. Das ist doch immerhin etwas. Man hat sich Gedanken gemacht, und das, so meine ich, sollte man Leuten in anderen Gegenden auch mal wünschen: Macht euch Gedanken über eure Feste, ihr mit euren Säubrenner- und Hahneköppen-Kirmessen, ihr mit eurem Militärersatz in Neuss und anderswo, macht euch Gedanken!
Hier in Abenden kommt noch hinzu ein bewunderungswürdiger Dilettantismus, über dessen wirklichen Sinn Reinhard Baumgart noch neulich in einem deutschen Nachrichtenmagazin referierte und was sich mancher hinter den Spiegel stecken sollte – auch der, auch der.
Es macht schon einen Unterschied, ob man die örtliche, aus den Bewohnern des Dorfes gebildete Blaskapelle einen Marsch spielen hört oder den Musikzug des soundsovielten Korps der Bundeswehr, zu schweigen ganz von den in ihrer materialistischen Vorstellung nicht zu überbietenden Musikzügen der Schützenvereine, die sowieso in Habitus und Ausführung nur wilhelminischem Tschingderrassabum nacheifern.
In Abenden fehlt zum Beispiel am Sonntagmorgen, als man zum Kirchgang antritt, der Leiter der Blaskapelle, weil es am Abend zuvor doch ein wenig zu heftig geworden war. Was darauf folgt, widersetzt sich der Beschreibung. Die Darbietung hatte Clochemerle-Reife, war phantastisch in des Wortes wahrer Bedeutung. So jedenfalls wünsche ich mir Märsche geblasen.
Nachmittags lief es dann mit dem Leiter wieder bedeutend besser, dafür gab´s eine in ihrer offenbaren Unzulänglichkeit nicht zu überbietende und deshalb wohl für mich um so eindrucksvollere Parade. Und wieder wurde ich an den eben erst gesehenen Clochemerle-Film erinnert, als ich den Scherpen bewehrten aber sonst Zivil tragenden schnauzbärtigen Hauptmann seine Kommandos geben hörte, auf die man kaum oder nur andeutungsweise reagierte. Diesen Hauptmann sah im am Montag an der Betonmaschine stehen, und er hatte jede Ähnlichkeit mit dem des Sonntags verloren.
Die Kirmes in Abenden war jedenfalls ein Erlebnis. Vielleicht fahre ich nächstes Jahr wieder hin. Dann allerdings lasse ich mir genau erklären, warum hier die Kirmes „heraufgeholt“ wird. Das soll mit einem Ochsengehörn zu tun haben, das früher irgendwo im Ort vergraben wurde und von den jungen Leuten gesucht werden mußte. Wenn es gefunden war und aus der Erde heraufgeholt, konnte Kirmes gefeiert werden. Heute macht man´s weniger aufwendig. Da wird Kirmes gefeiert, wenn`s so weit ist. Aber sie wird immer noch, wenn auch nur verbal „heraufgeholt“.
Die viel berühmtere Anna-Kirmes in der Kreisstadt Düren kennt derlei Brauchtumhaftes nicht. Sie dauert eine volle Woche und hat, um in meiner Erlebniswelt zu bleiben, Neusser Zuschnitt. Wenn man den Leuten hier Glauben schenken darf, ist sie die größte im Bundesgebiet, was immer man auch darunter verstehen soll. Vom Neusser Schützenfest hatte man dagegen hier noch nicht gehört, und die soll doch, wenn man den Neussern Glauben schenken darf, na ja …  und so weiter.
Wir sind dann auch nach Düren, wenn auch nicht der Anna-Kirmes wegen, gefahren. Düren, das war zu der Zeit, als ich zum ersten Mal in der Gegend war, 1944 also, so etwas wie ein magischer Name, ein ebenso magischer Name wie auch Jülich. Düren/Jülich gehörte damals in einem Atemzug genannt zu werden. Auf diese beiden Kleinstädte konzentrierten sich die Angriffe amerikanischer Jagdbomber, Jabos genannt. Wir sahen aus der Ferne zu, sahen die Jabos über unseren Köpfen ihre Schleifen ziehen, ehe sie zum neuerlichen Angriff starteten. Es waren Bilder des Infernos, überzogen vom Rauch krepierender Bomben, übertönt vom Geräusch sich herabstürzender Flugzeuge, vom Rauschen niedergehender Bombenteppiche, dem Krachen und Bersten, und wir hörten, Düren und Jülich seien dem Erdboden gleichgemacht.
Man ahnt etwas davon, wenn man heute nach Düren kommt. Die Innenstadt ist neu aufgebaut, und an den neuen Gebäuden erkennt man, wieviel zerstört gewesen sein muß. Am Rathaus dann das Mahnmal, das an die Bombenangriffe erinnert. Ich konnte nicht ohne Ergriffenheit durch die Straßen gehen, zu viele schlimme Erinnerungen verbanden sich mit dieser Stadt, obwohl ich sie nur aus der Ferne zerfallen sah. Jetzt ist sie eigentlich nicht viel mehr und nicht viel anders als jede andere Stadt ihrer Größe, ihres Zuschnitts und ihrer Lage am Mittelrhein, umgeben von Rüben- und Kornfeldern, von Klein-Industrie, mit einer imponierenden geschäftlichen Lebendigkeit im Carré der Innenstadt und zerflatternden Außenrändern, mit welchen Fühlern die Stadt Stück um Stück sich in die Landschaft frißt. Man müßte ein Bild von Düren aus dem Jahr 1945 neben das von heute halten, um zu erkennen, was seit damals geleistet wurde. „Düren gibt es nicht mehr“, hörte man 1944 sagen, an diesen Satz erinnert heute nur noch das Mahnmal am Rathaus. Düren ist längst wieder da. Wir haben uns einen Tag lang davon überzeugt.
Wenn man hier ist, ahnt man wenig von dem nur 15 km entfernten Tal, aus dem wir heraufkamen, um Filme zu kaufen, Geschäfte und deren Auslagen zu sehen und zu essen, man weiß so lange nichts davon, bis man Nideggen hinter sich gelassen hat und man abermals erfährt, daß hier die Eifel beginnt. Düren hat wenig damit zu tun. Aber man ist ja schnell wieder in Abenden, stellt den Wagen ab und freut sich auf die nächste Wanderung, die einen stets auf eine der vielen Höhen führt. „Wir hatten heute noch gar keinen Berg“, wurde unter uns zu einem geflügelten Wort, einer stehenden Redensart, und dann nahmen wir uns einen.
Es gab ja genug davon, und man brauchte seine vierzehn Tage, um sie sich alle zu Gemüte führen zu können. Und längst war der Muskelkater der ersten anstrengenden Tage verflogen. Nur den im Prospekt als Sehenswürdigkeit angepriesenen Klettergarten haben wir nicht gefunden. Vielleicht ist damit auch jener bizarre Rotsandsteinfelsen gemeint, der sich daumengleich über Abenden reckt und den mein Vater einige Tage lang für die Ruine einer Burg hielt. Wir sind oben gewesen, man kommt ganz gemütlich hinauf, auf Umwegen natürlich. Ihn frontal anzugehen, empfiehlt sich für unsereinen nicht mehr. Von oben dann wieder einen jener reizvollen Blicke über die Talöffnung. Wir waren sogar zweimal oben, es lohnt sich.
Abends dann, wie im Titel der Geschichte versprochen, Abend in Abenden, wobei ich zugeben muß, daß er mir eigentlich nur wegen seines Wortspielcharakters gefiel. Es ist ja nicht viel los. Es ist nur gemütlich, nur interessant. Uns genügte das. Wir sitzen im stilvoll eingerichteten Gastzimmer des Hotels. Es gibt mal keine Hochzeitsgesellschaft, die uns vertreibt, was auch mal vorkommt, auch nicht das Orgelspiel am Sonntag, wenn ab acht Uhr ein feinnerviger Künstler die Kino-Orgel bis spät in die Nacht hinein bearbeitet. Es sind Gäste da, es gibt das zu beobachten, was man Lebensart nennt.
Einige Leute spielen zum Beispiel Französisch-Essen, geben dem Wirt Empfehlungen mit auf dem Weg in die Küche („Seien Sie ruhig mutiger beim Würzen“), sie kommen wahrscheinlich aus Köln und sind vom Fernsehen, jedenfalls redet man über Treatment, Drehbuch, Rohfassung, Kameramann.
Dann ist da der Graphiker, der ortsansässige, mit seiner Clique, der im Hotel eine permanente Ausstellung seiner zwar wenig einfallsreichen, dafür um so dekorativeren Gemälde, Graphiken, Modeschmuckstücke unterhält. Der Mann ist etwas Besonderes, man sieht es auf den ersten Blick, seine Gesten verraten ihn. Er hat ein Atelier im Ort, „Scheune“ genannt.
Eine Gruppe Studenten aus Aachen, die ihrer Vorliebe für eine bestimmte französische Likörmarke lautstark Ausdruck gibt und uns zu ihren Runden einladen. Süßklebriges, würziges rosarotes bis orangefarbenes Gesöff, an das anderntags Kopfschmerzen erinnem. Die Unterhaltung dreht sich um Wert oder Unwert von „Schweinchen Dick“, jener berühmt-berüchtigten Fernsehserie. Ein Tisch voller alter Damen. Die eine, hat uns der Wirt erzählt, ist sechs-, die andere dreiundachtzig, und die eine davon ist die frühere Besitzerin des Hotels, die hier Gastrecht genießt und von früher erzählt. Ein junges holländisches Paar, das vor dem Essen unbedingt seine holländisch-obligate Tasse Kaffee trinken muß. Franzosen gibt es, ein belgisches Ehepaar mit zwei Kindern, die auf zwei Mopeds hergefunden haben: eine bunt gemischte Gesellschaft, in der man sich unterhalten kann.
Dafür sorgt, wenn niemand sonst, der junge Wirt, der sich als Unternehmer versteht und dennoch Tag für Tag im total verschwitzten Hemd, die Arme voller Teller und Schüsseln, Kellnerfunktionen wahrnehmen muß. Er ist auf der Suche nach Bedienungspersonal, findet indes keines und lernt so etwas über den Wert von Arbeitskraft. Das Kapitel Kapital kennt er schon. Aber er will sein Unternehmen, sprich Hotel, weiter ausbauen. „Die Zimmer entsprechen noch nicht ganz unserer Küche“, sagt er und hat zweifellos recht damit.
Denn nicht jeder seiner Gäste bewohnt Zimmer in dem Bungalow am Berghang wie wir, zu dem wir dann abends, nachts, hinaufsteigen nach den Abenden in Abenden, Stufe um Stufe uns vor tastend, ab und zu verpustend nach dem vorzüglichen Essen, dem Bier oder Wein, einem Skatspiel, den Unterhaltungen, um in den sternklaren Himmel zu starren und den großen Bären zu suchen. Und wenn wir ihn gefunden haben, deuten wir hinauf. Dann haben wir den Flachbau erreicht und bleiben abermals stehen, um einen Blick auf die Lichter zu werfen, die aus den Häusern dringen und für uns den Ort darstellen. Wir werden sentimental. Vielleicht weil wir Wissen, daß ein guter Urlaub zu Ende geht, der schließlich auch zu Ende ist.
Zu Hause, in Düsseldorf, treffe ich ein paar Tage später einen Freund, wir fragen uns nach den Urlaubsergebnissen. Er war am Gardasee, in der Gegend also, zu der auch wir hingewollt hatten. „Na“, fragte er, „wie ist es euch ergangen? Wolltet ihr nicht zum Comer See.“ – „Schon “, antworte ich, „aber wir sind dann doch gezwungenermaßen in die Eifel gefahren. “ – „Ihr Glücklichen“, sagt er da, „ihr glaubt ja gar nicht, was euch alles erspart geblieben ist. In die Eifel fahren wir nächstes Jahr auch. Das ist abgemacht.“ Demnächst, wenn ich etwas mehr Zeit habe, werde ich ihm von Abenden erzählen.